Simone Lackerbauer
Bei manchen Kongressen sehnt man schon nach der Hälfte der Zeit das Ende herbei. Nicht so bei der Work in Progress in Hamburg. Das Programm für den 14. März versprach wieder spannende Panels und Podiumsdiskussionen zum „Social Change Day“: Ein gelungener Abschluss nach dem Auftakt am Donnerstag und der abwechslungsreichen Agenda vom gestrigen Freitag. Thema der Konferenz war der „Wert der Arbeit“ – aus individueller, unternehmerischer, materieller, ideeller, künstlerischer, politischer, sozialer und wirtschaftlicher Sicht. Auch heute haben wir drei Begriffe in den unterschiedlichen Präsentationen wiedergefunden, die uns zum Nachdenken anregen: Individualität, Initiative und Intensität.
Auch heute twitterten wir wieder ein paar denkwürdige Zitate und Schnappschüsse von der WIP. Zu finden sind diese hier bei uns auf Twitter unter @ifaz14.
Interaktiv startet das Programm mit dem Vortrag von Van Bo Le-Mentzel zu Vertrauen als Währung von morgen. Wir singen „Don’t Worry, Be Happy“, zwei Mutige aus dem Publikum kommen auf der Bühne zu Wort und übernehmen die Einleitung. Mit seiner persönlichen Geschichte verdeutlicht Le-Mentzel, wie wichtig Vertrauen ist, wie hart man es sich erarbeiten muss und wie schmal der Grat zwischen Enttäuschung und Erfolg ist. Seine Botschaft: Maximales Vertrauen ist Nährboden für Eigeninitiative. Was sich theoretisch und in Einzelprojekten gut anhört, ist adhoc schwer im Arbeitsleben umzusetzen. Doch der Gedanke steht im Raum; in einem mit vielen engagierten Zuhörern.
Dass Eigeninitiative auch übergeordneten Schutz braucht, zeigt die nachfolgende Podiumsdiskussion zum Thema kollektive Interessenvertretung in der Kreativwirtschaft. Die Organisation SMartDE hilft Kreativen dabei, die oftmals komplexen bürokratischen Vorgänge zu regeln. Denn auch dies gehört zu einer besseren Arbeit der Zukunft: Die Beseitigung verwaltungsbedingter Hürden, die kreative Arbeit hemmen können. Auch Co-Working(-Spaces)-Organisationen sind wichtige Ankerpunkte für digitale Nomaden: Sie sind vernetzt, digital, organisiert und ermöglichen es Einzelnen, die Ressourcen der Gemeinschaft effektiv nutzen und selbst dazu beizutragen.
Technisierung und Digitalisierung spielen eine große Rolle für die Arbeit der Zukunft, das merken wir auch auf der WIP. Viele Beiträge am Samstagnachmittag widmen sich diesem Thema. Denn schnelle Innovationszyklen fordern uns immer wieder mit neuen Technologien heraus, die neue Geschäftsfelder eröffnen – und aufgrund fortschreitender Medienkonvergenz auch neue Inhaltsformen ermöglichen. Nicht mehr ganz neu, aber trotzdem noch faszinierend ist die Oculus Rift. Mit der 360°-Brille ist man leider heute noch als bloßer Betrachter im virtuellen Raum. Doch trotzdem bietet die auf de WIP live gezeigte Brille auch jetzt schon wissenschaftlich und praktisch Möglichkeiten zur Anwendungen. So kann beispielsweise Höhenangst therapiert werden, indem man Betroffene in virtuellen Umgebungen mit Höhe konfrontiert. Auch Minenarbeiter können mithilfe der virtuellen Realität besser auf die Umgebungen unter Tage vorbereitet werden. Denn Informationen, die virtuell erlebt werden, sind im Kopf anders abgespeichert als nur Gesehenes oder Gelesenes. Eine interessante Perspektive für die Arbeit der Zukunft ist dies allemal; wir sind gerade am Anfang der Bewegung rund um AR und VR.
All diese neuen Technologien haben aber eines gemeinsam: Sie produzieren Daten, oder Big Data. Der letzte Vortrag der WIP Hamburg heute setzt genau an diesem Punkt an: Der Wert unserer Daten – Chancen und Risiken des Self-Trackings. Wir haben das Thema bereits im Blog kurz angeschnitten und wollen auch in Zukunft noch mehr dazu schreiben. Der verantwortungsvolle Umgang mit solchen persönlichen Daten betrifft neben dem Privatleben auch das Dasein als Arbeiter. Einerseits können die unendlichen Möglichkeiten des Trackens und Optimierens schnell zu sozialem Druck führen und zum Zwang, immer und überall die beste Version von sich selbst zu sein. Auch Jeremy Rifkins gestern vorgestellte Netzwerkgesellschaft – jeder handelt zum Besten der Allgemeinheit – oder die Vertrauens-Maxime von Van Bo Le-Mentzel können von Werkzeugen der Freiheit zu Tools des Gruppenzwangs werden. Andererseits sind Daten und ihre Auswertungen auch auf verschiedene Weise für Dritte verfügbar: für Arbeitgeber, für Krankenkassen, für staatliche Organe; zur Überwachung, (Gewalts-)Prävention und Reaktion. Das legale und ethische Framework für den guten Umgang damit fehlt allerdings noch.
Fassen wir auch den heutigen Tag mit Hilfe unserer drei Keywords zusammen:
Die Debatte zur Arbeit der Zukunft setzt auf das Individuum. Mit Figuren wie Jeremy RIfkin oder Sascha Lobo bekommt die Diskussion unterschiedliche Gesichter, wird individueller und individualisiert. Doch wie Egbert Rühl heute eingangs sagte: Was davon man glauben soll, das muss jeder für sich selbst entscheiden, denn die Gemeinschaft kann nur Impulse geben für das eigenständige Denken. Dass kreative Arbeiter dazu durchaus in der Lage sind, zeigt die wachsene Zahl der Freelancer und Solo-Selbstständigen.
Die Debatte zur Arbeit der Zukunft setzt auf Initiative. Dabei sind nicht nur Einzelne gemeint, die aktiv ihre eigenen eigenen Lebensweg zwischen Karriere und Selbstverwirklichung gestalten. Verbände, Gewerkschaften und Kollektive sind ebenso wichtig, um die Interessen dieser kreativen Arbeiter zu vertreten. Doch auch Unternehmen müssen initiativ agieren, um den „Social Change“ für die Arbeit der Zukunft zu realisieren. Der Weg von hierarchischen Modellen hin zu intelligenten Netzwerken braucht allerdings Firmen, die dazu bereit sind, ihn auch zu gehen.
Die Debatte zur Arbeit der Zukunft setzt auf Intensität. Emotionale Faktoren gewinnen an Bedeutung; persönliches Engagement und der Zeitgeist nehmen Einfluss. Van Bo Le-Mentzel hat mit seinen Hartz IV-Möbeln den Nerv der Zeit getroffen, das Schwarzmarkt-Kunstexperiment setzt auf die direkte Konfrontation von Arbeit und Wert. Dabei verzichten diese Initiativen auf Polemik, lassen stattdessen ihre Ideen für sich sprechen. Durch die Crowd und die Verbreitung in unterschiedlichen Netzwerken intensiviert sich die Diskussion, wird immer und überall sichtbar.
Alles in allem bleibt abschließend zu sagen: Es wurden viele neue Fragen aufgeworfen, Ideen vorgestellt, Gedanken ausformuliert. Wie so oft mangelt es nicht an Ansätzen und auch nicht an Beispielen dafür, wie diese umgesetzt werden können. Was noch fehlt, ist allerdings die ganzheitliche Welle – möglicherweise unter Rifkins Label der „3. Industriellen Revolution“ – um die Arbeit der Gegenwart nachhaltig zu transformieren und den Paradigmenwechsel zur Arbeit der Zukunft zu bewerkstelligen; eben ein „Work in Progress“.