Lars Vollmer
Interviewfragen: Stefan Birk
Lars Vollmer, promovierter Ingenieur und Honorarprofessor, ist Unternehmer und Mitbegründer von intrinsify.me, dem größten offenen Thinktank für die neue Arbeitswelt und moderne Unternehmensführung im deutschsprachigen Raum. Er lehrt an mehreren Universitäten und Instituten und ist gefragter Redner auf internationalen Kongressen und Unternehmensveranstaltungen. Er spielt Jazzpiano, trinkt gerne Weltklasse-Kaffee und lebt in Barcelona. Sein neuestes Buch »Zurück an die Arbeit – Wie aus Business-Theatern wieder echte Unternehmen werden« ist 2016 im Linde Verlag erschienen.
Welches sind die gravierendsten Trends zur „Arbeit der Zukunft“, die in den nächsten Jahren verstärkt auf die Unternehmen / Organisationen zukommen werden?
Ich würde sagen: Dualismus. Damit meine ich, dass das Komplizierte in Unternehmen immer stärker automatisiert werden wird, während für das Komplexe verstärkt Teams entstehen müssen, in denen Könner unter Zuhilfenahme der Automatisierung die komplexen Probleme des Unternehmens lösen. Mit dem Komplexen meine ich die Bewältigung von Überraschungen, insbesondere in der Auftragserfüllung oder Innovation. Darum brauche ich mir auch nicht vorzustellen, dass durch Automatisierung und Digitalisierung Menschen aus den Unternehmen verschwinden werden. Sie werden sich schlichtweg anderen Problemen zuwenden müssen. Das ist kein Trend, sondern eine wirtschaftliche Notwendigkeit.
Innerhalb welchen Zeitrahmens wird sich die Arbeit maßgeblich verändern?
Das ist extrem branchenabhängig. Insbesondere in wettbewerbsstarken Branchen lässt sich das Gesagte bereits beobachten, in „entspannteren“ Branchen geht das langsamer vonstatten. Aber ich bin mir sicher: In 10 Jahren werden wir viele Unternehmen nicht wiedererkennen.
Welche Stellung hat das Thema „Arbeit der Zukunft“ in den Unternehmen/Organisationen heute?
Leider eine sehr kosmetische. Da werden ein paar Methoden in der Form eines Gnadenaktes eingeführt, um die Arbeit ›schöner‹ zu gestalten, aber über Innovationsformen für die Organisation sprechen Unternehmen quasi gar nicht. Nur mit ein bisschen Feelgoodmanagement oder Homeoffice lösen Unternehmen eben leider zu wenig relevante Probleme.
Wer ist in den Unternehmen/Organisationen zuständig und kümmert sich um das Thema?
Viel zu häufig ist es HR, das halte ich aber für falsch. Arbeit ist kein Personal-, sondern ein Organisationsthema. Natürlich arbeiten da Menschen in Unternehmen, aber um Unternehmen fit für die Zukunft zu machen, müssen Unternehmen an der Struktur der Arbeit etwas ändern, nicht an den Menschen, die die Arbeit ausführen. Darum gehört „Arbeit der Zukunft“ als strategische Stoßrichtung in die Geschäftsleitung. Ihre wesentliche Aufgabe ist die Kopplung des Kundenproblems mit den Könnern im Unternehmen. Soll heißen, die Geschäftsleitung muss einen Kontext schaffen, in dem moderne Zusammenarbeit möglich wird. Heute werden leider eher Praktiken fortgeführt, die die Menschen von der Arbeit abhalten, anstatt lebendige Zusammenarbeit zu gestalten.
Das ifaz hat in seiner Studie zur Arbeit der Zukunft auch die Fähigkeiten untersucht, die gefordert werden für den Arbeiter der Zukunft. Entsprechen die Ergebnisse Ihren Erfahrungen/Erwartungen? Welche Fähigkeiten bzw. Stichworte fehlen oder werden unterschätzt?
Das kritische Denken taucht hier gar nicht auf, dabei ist es hochgradig relevant, um Kundenprobleme auf kreative Weise lösen zu können – DIE Herausforderung eines komplexen Marktes. Das Gute ist: Freies Denken lässt sich trainieren – jeder ist dazu veranlagt. Nur leider sind Mitarbeiter und Führungskräfte so darauf getrimmt, an Prozessen und Vorgehensweisen festzuhalten, dass sie gar nicht zum selbständigen Denken kommen, bzw. systematisch davon abgehalten werden. Dadurch bleibt ein großes Potenzial in Unternehmen ungenutzt.
Welche Fähigkeiten sehen Sie in Unternehmen / Organisationen als besonders relevant an? Welches sind die Top 3? Welches sind die wesentlichen Felder, auf die die Organisationen in der innerbetrieblichen Ausbildung fokussieren sollten?
Ganz klar: Organisations-, Komplexitäts- und Kommunikationsverständnis. Das sehe ich in Unternehmen extrem schwach ausgebildet. Das Verständnis darüber, wie man Organisationen gestalten und mit Komplexität umgehen kann, wird natürlich nicht überall gebraucht, aber an vielen Stellen ist es unbedingt notwendig. Dazu zählt auch das Verständnis darüber, was sich gar nicht gestalten lässt – die Unternehmenskultur beispielsweise.
Welche Eigenschaften/Fähigkeiten werden in Unternehmen / Organisation heute gefördert?
In vielen Unternehmen wird über Selbstwirksamkeit nachgedacht. Hervorragend für den Einzelnen. Allerdings darf man nicht glauben, dass die Organisation durch mehr Selbstwirksamkeit erfolgreicher wird. Der Kontext, in dem die Menschen arbeiten – also die Struktur des Unternehmens, Verhaltensanforderungen etc. – wirkt nämlich viel stärker als die Persönlichkeit und der Wille einzelner Mitarbeiter.
Ich kenne Firmen, in denen könnten Sie jeden fragen, ob er weniger Meetings haben möchte – alle würde ›ja‹ sagen. Und trotzdem ändert sich nichts an den vielen Meetings, weil es eben keine Frage des Individuums, sondern der Organisation ist. Darum überfordern Unternehmen ihre Mitarbeiter mit so manch einem Förderprogramm, weil sie die Maßnahmen oder Prinzipien im Kontext der Organisation nicht umsetzen können.
Was ist ihr persönlicher Rat an die heutigen Schüler und Studenten bzw. die Wissensarbeiter des Jahres 2030?
Setzen Sie sich mit Komplexität auseinander – vor allem mit dem Unterschied zwischen komplex und kompliziert. Und lernen Sie wirksame von unwirksamen Maßnahmen zu unterscheiden, Methoden von Werkzeugen und Prinzipien von Regeln. Das ist die wichtigste Meta-Ausbildung neben der Fachausbildung, die vom Facharbeiter bis zur zukünftigen Führungselite wirklich jeder genießen sollte.
Vielen Dank!