Stefan Birk
Es ist ein Schock für viele Führungskräfte: Es ist Mittwoch später Vormittag und keiner der Untergebenen ist da. Zum Führen fehlen die Mitarbeiter und an Meetings ist auch nicht zu denken. Es kommt zum Äußersten: man muss inhaltlich arbeiten! Ein Szenario, das einen als hartgesottenen Manager schon nervös machen kann.
Kürzlich beschwerte sich der Abteilungsleiter einer großen Stiftung, dass seine Mitarbeiter nie persönlich anwesend sind (wenn er zufällig mal da ist und sie im Office sucht)? Da ist er nun nach vielen harten Jahren auf der Arbeitsebene die Karriereleiter heraufgefallen und könnte endlich mal Leute managen. Und jetzt ist keiner mehr da!
Die Antwort des Managers auf obige Frage nach dem Grund für die gähnende Leere war ebenso verblüffend wie einleuchtend: man sei (gerade als politische Stiftung) eben sehr weit gekommen mit der Familienfreundlichkeit. Und das merke man eben jetzt, da eine Vielzahl von Mitarbeitern/innen die Möglichkeiten der Flexibilisierung nutze. Und nein, ehrlicherweise könne man nicht sagen, dass dadurch die Ergebnisse der Mitarbeiter schlechter würden. Es sei eben nur schwerer für ihn geworden.
Da stecken jetzt zwei interessante Themen drin. Einerseits haben Unternehmen, die sich auf das Thema Familienfreundlichkeit einlassen (und sich möglicherweise sogar offiziell zertifizieren lassen), einen großen Schritt in Richtung #newwork oder Arbeit der Zukunft gemacht ohne dass sie dies explizit auf der Agenda hatten. Man könnte davon sprechen, dass diese Unternehmen mit der Familienfreundlichkeit ein „Trojanisches Pferd“ in ihre Organisationen hineingeschoben haben, aus dem dann in der Folge eine Idee zur Flexibilisierung nach der anderen heraussteigt. Das führt nicht selten zu einer starken Aufweichung der Präsenzpflicht, zu modernen Arbeitszeitregelungen und einer Reihe anderer Formen der Flexibilisierung.
Aber nicht nur die sichtbaren Veränderungen sind relevant, es tut sich auch etwas unter der Oberfläche der Organisationen. Es ändert sich nämlich dadurch auch die Arbeitskultur. Ist es erst einmal anerkannt, dass man zugunsten der Familie Auszeiten nehmen oder seine/ihre Arbeitszeit anpassen kann und erleben alle, dass das nicht unmittelbar zum Untergang der Organisation führt, dann ist man in einem neuen „Arbeits-Paradigma“ angekommen.
Das zweite interessante Thema hat damit zu tun, dass es für das Management schwerer geworden ist. So mancher Abteilungsleiter wird sich wohl von Zeit zu Zeit wie ein „Frühstücksdirektor“ fühlen. Die älteren unter uns wissen was gemeint ist: In jedem Unternehmen gab es früher Leute, die zwar hierarchisch relativ weit oben angekommen waren, aber aus irgendeinem Grund in Ungnade gefallen waren. Untrügliches Kennzeichen: sie hatten keine ihnen disziplinarisch unterstellten Mitarbeiter mehr. Der Grad der Relevanz war (und ist es heute noch vielfach) also ablesbar an der Anzahl der Mitarbeiter über deren Zeit und Aufgaben man bestimmen kann (und denen man Urlaubsgenehmigungen unterschreiben muss, wenn sie nicht im Büro sein wollen). Wer einem Frühstücksdirektor jemals begegnet ist, versteht, dass man vor den Kollegen nicht als solcher dastehen möchte.
Fazit: In Unternehmen, die durch Maßnahmen zur Familienfreundlichkeit ihre Arbeitskultur langsam weiterentwickeln, muss sich nicht automatisch die Führungskultur mitentwickeln. Tut sie das nicht, kommt es zwangsläufig zu Spannungen. Und diese bergen durchaus die Gefahr, dass sich die Leistungen der Organisation verschlechtern. Es ist also unumgänglich in Unternehmen auch an Führungskultur, -struktur und -prozessen zu arbeiten. Und das ist sicherlich weitaus schwieriger als einzelne Maßnahmen zur Familienfreundlichkeit auf den Weg zu bringen.