Interview mit Andreas Schiel:  "Wichtig ist die Fähigkeit zu vertrauen"

Andreas Schiel

(Interview durch Stefan Birk)

 

Er ist der Kopf hinter dem Blog arbeit:morgen. Studierte Philosophie, Psychologie, Politikwissenschaft und Theologie. Promovierte über Liebe, Kommunikation und Ethik und hat seitdem eine Schwäche für systemische Ansätze. Arbeitete als Dozent und Lehrer in verschiedensten Bereichen des Bildungswesens. Konzipierte und moderierte Workshops und Diskussionen. Gründete Kommunikative Demokratie e.V. und einen No-Budget-Think-Tank zur Zukunft der Demokratie, bevor er Zeit für die Zukunft der Arbeit fand.

Welches sind die gravierendsten Trends zur „Arbeit der Zukunft“, die in den nächsten Jahren verstärkt auf die Unternehmen / Organisationen zukommen werden? Warum?

 

Die Frage nach Trends, die auf uns zukommen, finde ich ehrlich gesagt schwer zu beantworten: Sie scheint uns Zeitgenossen ins Passiv zu setzen und uns zu Menschen zu machen, die eine weit gehend fest stehende Zukunft nur noch zu verwalten, nicht aber zu gestalten haben. Ich möchte deshalb so auf Ihre Frage antworten: Was sind Tendenzen, Entwicklungen und Potenziale die wir stärken und ausnutzen sollten? In Ihrer Studie nennen Sie beispielsweise als einen von vier 'Megatrends' den Wertewandel. Wenn damit gemeint ist, dass äußerliche, an sozialen Rollenbildern, Normen und Konventionen orientierte Werte abgelöst werden durch innerliche – also z.B. die Frage nach Macht und Besitz durch die nach sozialer Kompetenz und persönlichem Wohlergehen, oder die nach Gehorsam und Folgsamkeit von der nach eigenverantwortlichem Tun - dann stimme ich dieser Beobachtung zu und finde, dass wir solch einen 'Trend' noch weiter fördern können und sollten. Und wenn außerdem ein Wandel der Organisationsmodelle und ein neues Management erwartet werden, dann muss man zwar sagen, dass davon aktuell eher noch zarte Pflänzchen zu sehen sind, als megatrend-stabile Bäume, aber wir dürfen hoffen, dass diese wachsen und gedeihen. Meinetwegen kann man natürlich auch sagen: Das kommt auf uns zu, darauf muss man sich einstellen. Das sollten wir nämlich, wenn wir klug sind.

 

 

Innerhalb welchen Zeitrahmens wird sich die Arbeit maßgeblich verändern? Warum?

 

Seriöse zeitliche Prognosen finde ich schwierig. Dass sich durch die Digitalisierung binnen eines oder zweier Jahrzehnte sehr vieles verändern wird, kann man überall hören und lesen. Dem will ich nicht widersprechen. Was sich aber darüber hinaus wie schnell verändert, ist eine ganz andere Frage. Die spannendsten und tiefgreifendsten Veränderungspotenziale sehe ich im Bereich der Weiterentwicklung von Menschen und von Organisationen, die ja nunmal aus Menschen bestehen – nicht der Technik. Und das sind Entwicklungsprozesse, die sich naturgemäß nur schwer antizipieren lassen.

 

 

Welche Stellung hat das Thema „Arbeit der Zukunft“ in den Unternehmen/Organisation heute?

 

Es wird wohl von den meisten noch etwas instrumentell und eher abwartend behandelt – und aus dem Blickwinkel der alten Arbeitswelt. Also in dem Sinne: Was passt zu den bisher erfolgreichen Geschäfts- und Organisationsmodellen? Was ist unumgänglich, um nicht den Anschluss zu verlieren, z.B. im Kampf um neue qualifizierte Mitarbeiter? Das ist bei einem Paradigmenwechsel, vor dem wir höchstwahrscheinlich stehen, dessen Geschwindigkeit und Tragweite man aber noch nicht absehen kann, allerdings auch nicht weiter überraschend. Man darf vermuten: Die wirklichen Innovationen werden zunächst nicht von den Etablierten und Großen ausgehen.

 

 

Wer ist zuständig und kümmert sich um das Thema?

 

Da kann ich mich nur Lars Vollmer anschließen, der das in Ihrem Blog schon sehr treffend beantwortet hat: Das Thema Arbeit der Zukunft wird oft als Personalthema eingeordnet und entsprechend bearbeitet. Das ist nicht grundsätzlich falsch, aber es (auch) auf der Organisationsebene anzusiedeln und damit bei der Unternehmensführung, wäre folgerichtig.

 

 

Welche Fähigkeiten sind wichtig für die Zukunft? Welche Fähigkeiten werden unterschätzt?

 

Dass soziale Kompetenzen wie Beziehungsfähigkeit ganz vorne rangieren finde ich sowohl folgerichtig in Anbetracht der bereits jetzt gewachsenen Herausforderungen in diesem Bereich, als auch erfreulich. Hier sollte man aber noch weiter differenzieren: Enorm wichtig ist aus meiner Sicht die Fähigkeit zu vertrauen, weil ohne diese der Umgang mit komplexen Problemstellungen fast unmöglich ist. Außerdem wird es sicherlich auf kommunikative Fähigkeiten ankommen, und zwar nicht nur im oberflächlichen Sinne, sondern auf die Fähigkeit, Menschen Wertschätzung und Respekt zu vermitteln und dabei gleichzeitig Konflikte ansprechen und austragen zu können. Warum neben dem zukünftig sicherlich essenziellen kreativen Denken das kritische Denken so selten genannt wurde, sollte man aufklären. Die Fähigkeit selbstständig zu denken, die Relevanz von Informationen und die Angemessenheit von Methoden und Handlungsweisen selbst beurteilen zu können, dürfte schließlich eine der wichtigsten Aufgaben des Wissensarbeiters der Zukunft sein, die man übrigens – selbst wenn sie das könnte – nicht der Technik überlassen sollte. Überhaupt wird intellektuelles Selbstbewusstsein in einem aufklärerischen Sinne (man denke an Kants Imperativ: 'Sapere aude!' - also: 'Wage zu wissen, dich auszukennen, zu urteilen!') entscheidend sein. Wissen sammeln, redigieren, aufbereiten ist eine Aufgabe für Software. Es kritisch zu bewerten, Stellung zu nehmen und es in den richtigen, angemessenen (Anwendungs)zusammenhang zu bringen sollte und wird hoffentlich Aufgabe des Menschen bleiben.

 

 

Welches sind die wesentlichen Felder, auf die Sie sich oder beratene Organisation fokussieren? Warum?

 

Ich finde es wichtig, die sozialen Kompetenzen, die ja immer noch oft als 'weiche' Fähigkeiten einen etwas fragwürdigen Exotenstatus zuerkannt bekommen, näher zu beleuchten. Dass es sich hier um mehr als nur triviale Kompetenzen handelt, wird ja heute schon oft gesehen. Aber wie groß die Bedeutung von Vertrauen, wertschätzender Kommunikation, der Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung ist, wenn es um den Aufbau einer neuen Arbeitswelt und auch einer neuen Gesellschaft geht, wird meines Erachtens noch stark unterschätzt.

 

 

Welche Fähigkeiten sehen Sie in beratenen Unternehmen / Organisationen als besonders relevant an? 

 

Bei dieser Antwort konzentriere ich mich statt der schon oben genannten und natürlich unverzichtbaren sozialen Kompetenzen mal auf zwei andere Fähigkeiten, die eng miteinander zusammenhängen: Systemisches und inter- bzw. transdisziplinäres Denken. Wer über das Denken und Handeln in aufgaben- und fachspezifischen Nischen hinauskommen will, muss das beherrschen. Ist aber einfacher gesagt als getan, weil die Benutzung von Etiketten wie 'systemisch' oder 'ganzheitlich' allein noch nicht das Verständnis komplexer Interdependenzen innerhalb und außerhalb von Organisationen fördert, wie es entwickelt werden muss. Dieses Verständnis zu erlangen und auf seiner Grundlage richtig zu handeln wird sich im Regelfall als langwierige Lernaufgabe herausstellen, die übrigens – noch eine wichtige Fähigkeit! - nur durch die Verknüpfung von theoretischem und praktischem Wissen gelingt.

 

 

Welche Eigenschaften/Fähigkeiten werden in Unternehmen / Organisation heute gefördert? Welche Programme gibt es?

 

Ein Schwerpunkt liegt, würde ich sagen, immer noch oder sogar vermehrt, auf der Förderung von Führungskompetenz. Das ist grundsätzlich nicht falsch, vor allem wenn neuere Ansätze dabei Berücksichtigung finden. Aber vielleicht wäre es nachhaltiger, nicht nur in die Kompetenzen weniger, sondern in die aller Mitarbeiter zu investieren. Und da eben auch nicht getrennt nach fachlicher Kompetenz für den Sachbearbeiter und sozialer bzw. Management-Kompetenzen für seine Vorgesetzte, sondern im Sinne einer Weiterentwicklung der gesamten Organisation, mit dem Ziel Verantwortung und natürlich auch Verantwortungskompetenz wesentlich gleichmäßiger zu verteilen, als das heute der Fall ist.

 

 

Was ist ihr persönlicher Rat an die heutigen Schüler und Studenten bzw. die Wissensarbeiter des Jahres 2030?

 

Bleibt so anspruchsvoll, wie Ihr seid, also in Bezug auf Selbstbestimmung, Lebensqualität, Verwirklichung menschlicher Werte. Aber erwartet nicht, dass Euch das als Komplettpaket von Eurem ersten Arbeitgeber überreicht wird wie die Tüte zur Einschulung. Entwickelt stattdessen die Konfliktbereitschaft, Eure Ansprüche auch zu verwirklichen und lasst Euch nicht von der falschen Befürchtung entmutigen, dass darüber aller menschliche Zusammenhalt verloren gehen muss! Und nie vergessen: Selber denken! 

 

 

Vielen Dank!